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Silvia Schüßler
Wachstum – Stufen
11.07.2025; Reflexionen zum Kunstpreis 2026, Aschaffenburg
Silvia Schüßler • Therapeutisches Malen • Bildwerkstatt • Hösbach
Die Beschreibung von Wachstum mit „Stufen“ im Ausschreibungstext und mit kontinuierlicher Weiterentwicklung zeichnet ein lineares Bild von Wachstum.
Meiner Erfahrung nach ist das Wachstum sowohl menschheitsgeschichtlich als auch individuell selten oder nie linear, eher labyrinthisch oder einer Spirale vergleichbar.
Und selbst in diesen Bildern wird immer Fortschritt suggeriert. Im Labyrinth komme ich immer in der Mitte an. Die Spirale geht aufwärts. Ich komme immer an einem ähnlichen Punkt auf einer höheren Ebene wieder an.
Das wäre einer hegelschen Betrachtungsweise vergleichbar: die Widersprüche heben sich auf einer höheren Ebene zur Synthese auf.
Adorno und Horkheimer haben in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ ein etwas anderes Bild beschrieben, das gerade in der momentanen politischen Situation wieder sehr bedeutsam ist:
inmitten des sogenannten Fortschritts werden zugleich Elemente der Barbarei als Schatten mitgetragen. Es geht also immer vorwärts und wieder zurück. Diese rückschrittlichen Elemente zu erkennen und sich deren bewusst zu werden, sie zu überwinden versuchen, darin liegt Wachstum – individuell und kollektiv. Und da sind wir immer mittendrin. Manchmal verwirrt es sich und wir erkennen nicht, wo eigentlich oben und wo unten ist. Wie in dem Bild von Escher, in dem die Menschen Treppen runtergehen oder steigen und es nicht auszumachen ist, ob die Treppe jetzt nach unten oder nach oben führt.
In der Menschheitsgeschichte – das habe ich durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Schrift ganz deutlich nachvollziehen können – gab es lange „dunkle“ Zeitalter: Zivilisationen sind zusammengebrochen, Wissen wurde verschüttet, es gibt für diese Zeiten keine Überlieferungen; und plötzlich entwickelt sich an anderen Orten zu anderen Zeiten wieder etwas.
Als ich im Keltenmuseum auf dem Glauberg war, habe ich über diese handwerklichen Kunstwerke (Gebrauchsgegenstände und Schmuckstücke) gestaunt. Bereits in dieser frühen Zeit und mit ganz einfachen Werkzeugen wurde Wert auf Schönheit gelegt, obwohl das sehr viel Mühe und Zeit in Anspruch genommen hat. Sind wir heute wirklich weiter entwickelt, frage ich mich. Denn wir können heute alles mit einem Klick kaufen und merken gar nicht, dass diese Dinge oft an wirklicher Schönheit entbehren. Nämlich der Schönheit, die durch Hinwendung und Aufmerksamkeit des Schaffenden entsteht.
Und: Wachstum wirft immer zugleich die Frage nach dem „wohin“ auf und nach der Haltung. Geht es uns um Selbstoptimierung im Konkurrenzkampf? Geht es uns darum, dass wir immer mehr „Luxus“ haben? Geht es uns darum, dass der Mensch zum Gott wird? Dass Menschen glauben, sich in der digitalen und technologisierten Welt von Natur verabschieden zu können? Wollen Menschen eigentlich Menschen bleiben oder zur Maschine (künstlichen Intelligenz) weiterwachsen?
Da kommt mir der Turmbau zu Babel in den Sinn: Ein anspruchsvolles Projekt des Größenwahns, der ins Verderben, in die Verwirrung und die Trennung führt, statt zur humanen Verbindung.
Für mich liegt Wachstum aktuell eher in der Verbindung mit der Erde, mit Natur, mit Demut und dem Bewusstsein, dass alles miteinander verbunden und aufeinander angewiesen ist.